Union und Grüne liefern sich harte politische Auseinandersetzungen. Eine junge Grünen-Abgeordnete entscheidet sich nun dafür, bei der CDU mitzuarbeiten. Das hat es schon lange nicht mehr gegeben.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen wechselt in die Unionsfraktion. “Meine Entscheidung ist das Ergebnis eines langen Prozesses”, bestätigte Sekmen am Montagabend einen entsprechenden Bericht des Nachrichtenportals “Table Media”. Die 30-Jährige sprach von einem “Schritt nach vorne” und ergänzte: “Meine Vorstellung darüber, wie und in welchem Stil Politik gemacht wird, hat sich weiterentwickelt.” Sekmen hat türkische Wurzeln – ihr Vater war als Jugendlicher nach Deutschland gekommen. Sie ist in Mannheim geboren und sitzt seit 2021 im Bundestag. In einem Video, welches sie am späten Montagabend auf ihrem Instagram-Kanal veröffentlichte, begründete Sekmen ihren Schritt.
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CDU-Chef Friedrich Merz begrüßt die Entscheidung
Die Fraktion freue sich, Sekmen bald als neues Mitglied begrüßen zu können, so CDU-Chef Friedrich Merz. Die Abgeordnete werde in den nächsten Tagen eine Mitgliedschaft im CDU-Kreisverband Mannheim anstreben. “Mit ihrer Familiengeschichte und ihren Themen verbindet Frau Sekmen vieles, wofür auch die CDU steht. Wir machen Politik für die fleißigen Menschen in unserem Land”, sagte Merz. Sekmen hat nach eigenen Angaben am Montag ihren Austritt bei den Grünen und aus der Grünen-Bundestagsfraktion erklärt.
Sekmen erklärte: “Wir brauchen eine Debattenkultur, in der Menschen ihre Meinung und ihre Sorgen sagen können, ohne in Schubladen gesteckt zu werden.” Menschen über ihr Tun, ihr Wirken und nicht über ihre Herkunft zu definieren, dafür stehe für sie das neue Grundsatzprogramm der CDU.
dpa Bildfunk
picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka
Grünen Mannheim fordern Abgabe ihres Bundestagsmandats
Der Kreisverband der Grünen in Mannheim sei “enttäuscht” über die Entscheidung Sekmens, akzeptiere sie aber. Das hat der Verband in einer Stellungnahme mitgeteilt. Man danke Melis Sekmen für ihre jahrelange Arbeit in der Partei, fordere sie aber auch dazu auf, ihr Bundestagsmandat niederzulegen und so den Platz frei zu machen für eine andere Person der Grünen. Melis Sekmen war über die Landesliste der Grünen in den Bundestag eingezogen. In ihrer Erklärung werde nicht deutlich, warum sie ausgetreten ist, sagte der ehemalige Franktionskollege von Melis Sekmen, Gerhard Fontagnier, dem SWR. Bei den Themen Vielfalt, Natur- und Umweltschutz sei man bei der CDU in Mannheim “immer wieder auf Widerstand gestoßen”, so Fontagnier weiter.
Da ist man natürlich erstmal ziemlich enttäuscht. Wobei es eine gewisse Erwartung in diese Richtung gab.
Wechsel von Grünen zur CDU aus Enttäuschung über grüne Wirtschaftspolitik
“Table Media” hatte unter Berufung auf Parteikreise geschrieben, aus Enttäuschung über die grüne Wirtschaftspolitik habe Sekmen schon vor Wochen Kontakt zur CDU aufgenommen und mit Merz sowie dem Vorsitzenden der baden-württembergischen Landesgruppe im Bundestag, Andreas Jung, und dem Chef der BW-CDU, Manuel Hagel, über ihren Wechsel zur CDU gesprochen. Hagel selbst postete am Montagabend auf X ein Foto von ihm und Sekmen und schrieb: “Vor der Entscheidung von Melis Sekmen habe ich persönlich größten Respekt. Ich habe Melis Sekmen als absolute Power-Frau kennengelernt.”
Im Bundestag ist Sekmen Obfrau der Grünen im Wirtschaftsausschuss und seit 2022 Vorsitzende des Parlamentskreises “Gründungen & Start-ups”. Seit 2011 ist die Abgeordnete Grünen-Mitglied, von 2011 bis 2014 war Sekmen Sprecherin der Grünen Jugend in ihrer Heimatstadt. 2014 wurde sie in den Mannheimer Gemeinderat gewählt, von 2019 bis 2022 war sie dort Fraktionsvorsitzende.
Dass Abgeordnete die Fraktion wechseln, kommt selten vor. Die Unionsfraktion konnte zuletzt Ende 1996 einen Zugang aus einer anderen Fraktion verbuchen. Damals war die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld ebenfalls von den Grünen zur Union gewechselt. Ende vergangenen Jahres trat Lengsfeld, die von 1990 bis 2005 im Bundestag saß, aus der CDU aus.
Mannheimer Politologe Debus zum Wechsel in Unionsfraktion
Auch der Mannheimer Politikwissenschaftler Marc Debus betonte im SWR-Interview, dass ein solcher Wechsel in parlamentarischen Demokratien “relativ selten” vorkommt. Häufiger käme dies in präsidentiellen Regierungssystemen vor – wie etwa in den USA. Laut dem Politologen sind die Abgeordneten ihrem Gewissen und nicht ihrer Partei verpflichtet. Melis Sekmen stehe es also frei, ihr Bundestagsmandat zurückzugeben oder zu behalten, so Debus weiter. Auch wenn Sekmen über die Liste und nicht direkt gewählt wurde. Dies mache laut Grundgesetz “keinen Unterschied”.
Es gibt keinen Grund für Frau Sekmen, das Mandat niederzulegen.
SWR
Nach den enttäuschenden Ergebnissen der Mannheimer Grünen bei der letzten Oberbürgermeisterwahl und der Kommunalwahl könnten jetzt noch innerparteiliche Konflikte nach dem Wechsel dazukommen. Debus rechnet mit Diskussionen innerhalb der Partei. Dabei könnte es vor allem um die Gründe gehen, die zu dem Wechsel geführt haben. “Diese können auch in der Migrations-, Integrationspolitik und Debattenkultur insgesamt gesehen werden”, sagt Debus.
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